20081222

Die Magische Vihuela

Lidio Mosca-Bustamante
DIE MAGISCHE VIHUELA
Erzählungen
Rezension
Aus dem Spanischen von Gerhard Giesa
Vier-Viertel-Verlag, Wien-Strasshof 2005.
ISBN 3-902141-15-8

Dr. Sidonia Binder

Mehr denn je ist heutzutage das Magische anziehend. Die Zugänge dazu sind erwartungsgemäß unterschiedlich, sogar konträr.
Wenn einerseits vorwiegend Spannung erwartet wird durch wohligen Schauer und unheimliche Vorgänge, wird anderseits vielleicht auch Verwandlung zum Guten und Heil bringender Zauber mit dem Magischen verbunden.

Von den fünfzehn Erzählungen im vorliegenden Band führt die Titelgeschichte
„Die magische Vihuela“ in die Zeit der Hexenverfolgungen in der südlichen Steiermark und stellt eine unerwartete und beklemmende Verbindung zwischen Europa und Südamerika her.
Dorothea Niederl erwartet ein Kind, dessen Vater, ein Adeliger aus Oberradkersburg, sie verleugnet. Sie verlässt Europa, um in Südamerika, im späteren Vizekönigtum Rio de la Plata dieses Kind, einen Knaben, zur Welt zu bringen. Getauft auf den Namen Johannes nennt er sich Juan Nida. Nach dem frühen Tod seiner Mutter bereist er Europa und besucht auch seine Vaterstadt Oberradkersburg.
Hier beeindruckt er, unter anderem durch sein faszinierendes Spiel auf der Vihuela als „magischer Troubadour“ besonders die Frauen. Durch - nicht nur damals übliche - Verleumdung wird seine Musik mit Teufels- und Hexenzauber in Verbindung gebracht. Da aber gerade in dieser Zeit, von weltlicher und kirchlicher Seite gefördert, Aberglaube und Hexenwahn allgegenwärtig sind, wird er zusammen mit drei Hexen verhaftet. Sie kommen qualvoll zu Tode, er kommt, von ihnen als willenloses Werkzeug Missbrauchter, wie es offiziell heißt, mit dem Leben davon unter der Bedingung, seine Vihuela zu verbrennen, um alle okkulten Mächte zu vernichten, die sich darin eingenistet hätten.
Als ob die Vernichtung von Menschen und Materie dem Geistigen dahinter etwas anhaben könnte in seiner bleibenden Wirkung…

Alles Gewohnte kann allmählich oder auch plötzlich sich so sehr verändern, dass der Zwang der Relativierung zu sich selbst jegliche Sichtweise verwandelt, wie in
„Ich, die Kugel“.
Ähnlich in „Sisyphus und die Relativität“: das unmöglich Scheinende wird möglich durch die Veränderung der eigenen Vorstellung und somit ist diese die Voraussetzung für das Machbare.

In der Ambivalenz jeglicher Beziehungen, auch der zum eigenen Ego, wird selbst ein sprechender Papagei zu einer bemerkenswerten Projektionsfigur.
Und ähnlich ist der Mechanismus im Spiel der Macht, reduziert auf die Szenerie eines Schachbrettes, wie in „Requiem für einen König“. Wer das Verlieren nicht einkalkuliert, wird auch im Sieg angreifbar sein. Und mit dieser Sichtweise, in abgewandelter Form, geht das Begegnen zwischen den Geschlechtern am Leben vorbei.

Nachvollziehbar ist das verdeckte Grundgefühl, das dauernde Bewusstsein der ständigen Wiederkehr des Wechsels von Leben und Sterben am Rande geträumter Realität wie in „Gestundetes Leben“.

Von feinsinniger Poesie und subtiler Metaphorik sind die drei Kapitel aus dem Roman „Blumen für Agustina“; es sind in sich geschlossene, aber in der Thematik miteinander verbundene Miniaturen.
Verbindendes Schweigen wirkt in „Deine Ankunft“ wie Balsam auf Narben; die Verletzungen davor, entstanden aus dem ausgrenzenden Verstummen, werden in Rücksichtnahme umgedeutet. Und Koexistenz tarnt sich als Konkordanz.
Und die Liebe?

Undramatisch ist die Annäherung an eine zumindest sagenhafte, wenn auch sichtlich bedeutsame und möglicherweise nachhaltige Transformation des Herbert Dollfuß zu Beginn des 19. Jahrhunderts nahe Judenburg in der Steiermark in der Erzählung „Die Verwandlung“. Wieder sind es magische Rituale, die Zeit und Raum durchbrechen lassen durch die vorübergehende Erlangung des absoluten Bewusstseins. Was bleibt ist die Gewissheit der Verwandlung, des Wandels überhaupt.
Ein seltenes Zusammenspiel von nahezu beiläufiger Selbstanalyse, feinster Erotik im Grenzbereich von Realität und Phantasie findet sich in der zauberhaften Erzählung:„Ein Unglücksfall“. Eine ähnliche Variante ist „Der symmetrische Mensch“ und auch hier ist es die Verhältnismäßigkeit, die zur Schicksalsfrage wird.

In den letzten beiden Erzählungen dominiert die realistische Darstellung.
„Die Kunst des Springens“ ist die Beschreibung der Flucht eines Mädchens vor familiärer Gewalt in eine Scheinwelt, in ein unsichtbares Refugium;
eine erschütternde Schilderung, bildreich, dynamisch und trotzdem zurückhaltend, ohne Geifer und Überschwang.
In „Der Gott“ wird nach einem Flugzeugabsturz im brasilianischen Urwald für den einzigen Überlebenden, einem Schauspieler, ein zweites Leben, ein Neuanfang in einem Indiostamm möglich. Als vermeintlicher Gott ist er scheinbar gerettet, auch vor den Querelen seines bisherigen Lebens, aber auch gefangen in einer Rolle mit geliehener Macht.

Lidio Mosca-Bustamante ist ein überaus bemerkenswerter Autor.
Seine Sprache ist klar und intensiv, seine Bilder schaffen Zugänge für analytische Denker, offenherzige Beobachter und uneingeschränkte Visionäre.

Keine Abrechnungen und (Vor)verurteilungen, trotz vager Kümmernisse,
sondern Mitmenschlichkeit und dezente Empathie durchziehen alle seine Werke.
Wie sehr darin ein Zusammenhang besteht zwischen seiner Biographie, die höchst problematische und traumatische Abschnitte beinhaltet, bleibt Vermutung.
Große Wertschätzung für seine unübersehbare ethische Grundhaltung ist jedenfalls unabdingbar.

Sowohl im spanisch-argentinischen, als auch im deutschen Sprachraum wird sich die Leserschaft von Lidio Mosca-Bustamante`s bisherigen Büchern auf seine weiteren Werke freuen.

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