20121127

Tango-Kontinuum


Tango-

Kontinuum
 Von Machos, Malevos und Vermaledeiten

Erzählungen
 
                                                                                                                                AUTORENVERLAG GERBGRUBEN


Über dieses Buch

     Das Leben ist ein Tango. Wer würde nicht zugeben, dass das Leben in Buenos Aires verwickelt und manchmal schwierig ist? Das Leben ist ein Weg, den wir immer weitergehen. Hindernisse zwingen uns dazu anzuhalten, einen Schritt zur Seite zu tun, zurückzugehen, sich zu drehen um eine andere Richtung einzuschlagen, hie und da eine Firulete* zu machen. Und schon zeigt sich: Das Leben ist ein Tango. Es ist eine bekannte Tatsache, dass die typische Musik eines Landes, ihre Melodie, ihr Takt, das Ergebnis des örtlichen Lebensrhythmus sind, dazu kommen noch die geographische Lage und - ganz wesentlich - das kulturelle Erbe. Die Texte, so es sich um gesungene Musik handelt, sind der poetische Spiegel, der von den Schicksalsschlägen, Freudentagen und Erfahrungen seiner Einwohner berichtet. Ich wage zu behaupten und habe es immer getan, dass die große argentinische Dichtung sich auf einige Lyriker und die großen Tangosänger verteilt.
     Dieses Buch ist in zwei Teile gegliedert. Der erste, „Das Fegefeuer“, ist unserem abstrusen Verweilen in dieser Welt gewidmet, in der jeder, sogar die Allerheiligsten gezwungen sind zu sündigen. Ich beziehe mich dabei nicht auf die Idee, dass wir mit der Erbsünde geboren werden und immer wieder Buße tun müssen. Nein, ich meine, ohne zu sündigen kann man nicht überleben. Ich rechtfertige damit in keiner Weise die Tode, mit denen einige dieser Geschichten enden oder beginnen, auch nicht in Gedanken. Müssten wir, um über das Gute zu schreiben, die Neigung des Menschenwesens zur Sünde verneinen, würde ich nicht schreiben. In diesem ersten Teil findet man Erzählungen über Malevos, die für die Anfangszeiten des Tango zwischen 1895 und 1930 essentiell waren.
     Ich muss dazu erklären, dass der Tango nichts „Verbreche-risches“ ist. Ich zitiere Javier Barreiro, der in der Einleitung zu seiner Anthologie „Der Tango“1 behauptet: „Über das Leben von Gardel gibt es noch immer ein Wirrwarr von unglaublichen Vermutungen, die sogar von Verdrängung der eigenen Persönlichkeit sprechen. All das zeigt uns das soziale Abseits, das tiefe Außenseitertum, in dem der Tango geboren wurde.“
     Dennoch leben in diesen Randbezirken nur wenige an der Grenze zur Kriminalität. Ich zitiere ein weiteres Mal die Einleitung Barreiros, in der jener die Reaktion Gardels auf den Vorschlag einen Tango zu komponieren und zu singen, in dem er das Vorstadtleben als „Schlangennest“ wiedergibt:
      „Aber Che! Was glauben denn diese Leute? Madonna! Wir sind doch nicht alle Verbrecher ... Ich kenne die Vorstadt und das Leben dort ist nichts für Diebe. Außerdem: Wenn dort irgendein Verbrecher lebt, so gibt es in jedem Vorort 20.000 Arbeiter, die um fünf Uhr Früh aufstehen ... Hört mit diesem Unsinn auf! So etwas singe ich nicht!“
     Ich möchte betonen, der Conventillo*, zu einem großen Teil die Wiege des Tangos, war ein Mietshaus im 19. Jahrhundert, mit einem Innenhof, auf den alle Türen der einzelnen Wohnungen führten. In unserem, dem 21. Jahrhundert, sind die Gebäude in den europäischen Stadtvierteln, wo mittellose Familien und Gastarbeiter leben, die moderne Variante desselben Wohnungstyps, den man in Großstädten wie Berlin, Paris und Wien antrifft. Dort versammeln sich im Hof die Kinder jener Familien, spielen, diskutieren und streiten miteinander. Aus diesem Umfeld kommen die Textdichter und Musiker des europäischen Rap. Ihre ätzenden, rebellischen Texte erreichen manchmal ein unzweifelhaft poetisches Niveau. Die Globalisierung hat das möglich gemacht. Die Unsicherheit und die Jugendarbeitslosigkeit haben ein manchmal unerträgliches Milieu erzeugt, das zum Protest zwingt. Sowohl die Bronx in den USA als auch die Sozialwohnungen in Europa strapazieren die Geduld der arbeitslosen Jugendlichen. Ab und zu manifestiert sich ein Protest in Form einer Straßenkundgebung, was aber ständig erfolgt, ist die Anprangerung derartiger Missstände im deutschen, französischen und spanischen Rap. Das war auch im Buenos Aires zwischen 1885 und 1930 der Fall, Jahre, in denen Millionen europäischer Immigranten unter Raumnot und Anpassungs-schwierigkeiten litten. Sie werden sagen, dass es damals in Buenos Aires keine Arbeitslosigkeit gab. Das stimmt, aber es gab Existenzängste unter jenen, die verarmt angekommen waren und jene Randviertel mit den Einheimischen teilen mussten. Ebendiese Globalisierung und der Mangel an Respekt für den, der Arbeit sucht und keine findet, hat dem Tango in Europa einen neuen Impuls gegeben. Man darf nicht vergessen, in Spanien gibt es im Durchschnitt 20 Prozent Arbeitslose und noch vor zwei Jahren standen die österreichischen Banken und Finanzierungsgesell-schaften vor dem Ruin. Wie in den USA hat die Regierung trotz der vorhandenen hohen Schulden diesen in jenem Notfall Millionen Euro Kredit gewährt, mit der Absicht, dass die Bürger ihre Ersparnisse nicht verlieren. Dessen ungeachtet haben jene, die Hypotheken bei Finanzierungsgesellschaften hatten, alles verloren, was sie eingezahlt hatten.  
    Der zweite Teil des Buches nennt sich „Die Hölle“ – jener Ort, der den schweren Sündern, den Verbrechern dieser Welt vorbehalten ist. Und wenn das Leben ein Tango ist und der Tango wie dieses ein Kontinuum, finden sich dort Erzählungen, die von einigen großen Übeln dieser Welt handeln: von unverzeihlichen Sünden, dem ständig wiederkehrenden Chaos, das die ersehnte Harmonie und Normalität erschüttert und zerstört. Das ist die Kernaussage des Titels, keineswegs jedoch die Anprangerung der rebellischen Wesensart des Tango. Im Gegenteil, die beiden Teile stellen die entgegengesetzten Pole des Menschlichen und des Bösen, des Fassbaren und des Monströs-Unmenschlichen dar, zwischen denen die Sünde beheimatet ist.
     In seinen Anfängen kühn und frech, ist der Tango bei vielen Gelegenheiten auch eine pathetisch klagende Stimme. Das Lied von Buenos Aires ist aber viel mehr als nur gleichgültige Melancholie. Es ist der tiefe Ausdruck einer ungestümen, eindringlichen, durch Mark und Bein gehenden Musik, die eine der argentinischen und uruguayischen Seele innewohnende Energie verströmt. Was man in deutschsprachigen Ländern als „südliche Mentalität“ bezeichnet, findet im Tango seinen typischen Ausdruck. Leider verwechselt man in den Massenmedien vieler nordeuropäischer Länder den Charakter bzw. die Mentalität des Südens mit der des Orients. Da dieses Buch auch in deutscher Sprache erscheint, mache ich von der Möglichkeit Gebrauch darauf hinzuweisen, dass die Weltanschauungen des Orients und des amerikanischen Südatlantiks sehr verschieden sind. Das ist wichtig, weil die argentinische Frau, vor allem die aus Buenos Aires, eine Freiheit genießt, die im Orient nicht vorstellbar ist. Wie Barreiro anmerkt, ist die ständig wiederkehrende Thematik des Tango die „Klage des betrogenen Ehemannes“. Der Mann, welcher häufig von einer Frau verlassen oder betrogen wird, macht seiner Seele Luft, wenn er dazu in der Lage ist. Wenn nicht, singt er darüber in einem Tango. Er erleidet ein grausames Schicksal, kann die Dame nicht vergessen, die sein Herz verwundet hat. Würden wir das Liebesleben in Buenos Aires unter Bezugnahme auf die enorme Menge von Tangos beurteilen, welche von Untreue handeln, müssten wir glauben, in Buenos Aires gebe es keine ehrenwerte Liebe. Das wollen wir nicht tun.
     Es stimmt, dass es in dieser Gegend einen Männlichkeitskult gibt. Dennoch kann ich, ohne ein Thema anschneiden zu wollen, das mehrere Seiten füllen würde, behaupten, dass in den Regionen Europas, die ich besser kenne, der Typ des Machos ebenfalls präsent ist. Es ändern sich nur die Aspekte und die Form, in denen dies zum Ausdruck kommt. Man darf nicht vergessen, dass in Argentinien die Frau eine nicht unbedeutende Stellung in der Gesellschaft einnimmt. Schuldirektoren sind fast immer Frauen und in vielen medizinischen Bereichen spielen sie eine mehr als achtbare Rolle, so etwa in der Psychologie, der Psychoanalyse, der Geburtshilfe und der Gynäkologie. Sie tun sich auch als Politikerinnen hervor und es ist kein Zufall, dass Argentinien weltweit eines der ersten Länder war, das große weibliche Führungspersönlichkeiten aufzuweisen hatte. Ohne sie politisch verteidigen zu wollen, erinnere ich daran, dass Eva Perón nicht zur Vizepräsidentin gewählt wurde, weil ihre Gegner sie fürchteten und „moralische“ Gründe ins Treffen führten, um ihre Kandidatur zu verhindern. Das ist in Argentinien unter dem „Tag des Verzichts“ bekannt.
     Wenn wir uns einen jungen Mann aus dem Tangomilieu vorstellen, der eine Frau verführt, beobachten wir, dass er sich ihr nähert wie ein Torero, der die Arena betritt. Jene, so sie sich auf sein Spiel einlässt, weiß nicht nur ein anregendes Gespräch zu führen, sondern zeigt ihm, sofern sie dazu Gelegenheit hat, mittels einer oder zwei Anspielungen subtil, dass sie in Liebesdingen nicht wehrlos ist. Mehr nicht. Bei der Verführung heben die Frau und der Mann - halb übertreibend - ihre besten Eigenschaften hervor und zögern dabei auch nicht, einige gar nicht vorhandene anzuführen. Nicht nur das Leben in Buenos Aires ist also voller Schwindeleien, sondern auch die Liebe. Tango als Tanz ist ein elegantes Ballett, eine Aneinanderreihung von Finten, Andeutungen, Starts und Stopps, ein zickzackartiges Vor- und Zurückschreiten. Das Paar grenzt sein Territorium ab wie ein Tier im Großstadtdschungel und macht Schritt für Schritt seine überaus verfüh-rerischen Figuren. Der Volksmund sagt, dass eine Frau, die mehrere Liebschaften hat und geschickt mit Männern spielt, ins Garn geht. Und im Gespräch etwas vorzugaukeln, mit dem Hintergedanken eine Frau zu erobern, ist keine Sünde. Im Gegenteil, hacer el chamuyo, in diesem Fall viel zu reden, um sie herumzukriegen, ist eine Tugend, die Kunst des guten Geschäfts-mannes.
     Die Zeit vergeht und das Leben in Buenos Aires hat heute einen anderen Rhythmus als in den Zeiten Gardels. In den 60er Jahren trat ein großer Komponist in Erscheinung, der die neuen subtilen Klänge der Stadt zu interpretieren wusste: Astor Piazzolla. Ich hatte Gelegenheit, jene zu hören, die sich über den Tango Nuevo beklagten, indem sie vorbrachten, dies sei nicht Tango. Natürlich ist das Tango! Die Musik Piazzollas ist der Tango dieser Jahrzehnte, ohne jene außer Acht zu lassen, die dem klassischen Tangostil treu blieben.
     Der Tango ist als Ausdrucksmittel des Volkes am Río de la Plata das geeignetste Barometer, um die Haltung des Volkes gegenüber den staatlichen Machenschaften des Landes zu messen. Das ist kein Zufall angesichts des Mangels an staatlicher Verantwortung und der Schutzlosigkeit des Bürgers als Folge der Globalisierung, die in  Europa stolz auf den Friedhof schreitet und den Leichnam der sozialen Sicherheit und der mangelnden Sensibilität in den notwendigsten Bereichen zu Grabe trägt. So gesehen ist der Tango in Europa präsenter denn je. Man soll ihn tanzen, über ihn reden und, was das Wichtigste ist: ihn leben.
     Da sich dieses Buch auch an spanische und lateinamerika-nische Leser richtet, sind alle dem Lunfardo entnommenen Ausdrücke mit einem Sternchen markiert und werden in einem Glossar erklärt. Es handelt sich dabei um offensichtlich aus dem Lunfardo stammende Wörter oder um Argentinismen, die in Wirklichkeit dem Spanischen angehören, aber auf der Iberischen Halbinsel nicht mehr gebräuchlich sind.
     So bleibt mir nur mehr zu wünschen, dass die vorliegenden Geschichten, die in Österreich entstanden sind, wo ich lebe und verwurzelt bin, jedem zusagen, der die Liebenswürdigkeit hat sie zu lesen. Abschließend möchte ich sagen, dass die Stadt Buenos Aires, welche von einem meiner Vorfahren, Juan de Garay, gegründet wurde, die eigentliche Urheberin dieser Musik ist, welche die Welt erobert hat.
Der Autor

20091130

"Un pueblo sin arte es un pueblo enfermo"

Lidio Esteban Mosca Bustamante




Perfil



Obras en castellano
Segunda Edición, Edit. Narvaja, Cordoba, Argentina, 2006.
Flores para Agustina.
Editorial Entre Ríos, Argentina, 1999.
La marca en la arena
Editorial Pro Esperanto de la Biblioteca Nacional de Austria, Österreich, 1995.
La Excusa, La Transformación y otros cuentos.
Ed. Hnos. Citta. Santa Fe, Argentina , 1981.

Inéditas:
Alcamor, cartas de Viena (novela)
La clonación de Jesús de Nazaret (novela)
En preparación:
Autobiografía

Obras en portugués
Editorial Novo Imbondeiro, Portugal, 2006.

Publicaciones


Entrevistas en castellano

Prof. Dr. Guido Rings (Universidad de Cambridge)


Prensa en castellano
(Vicepresidenta de la Ö.S.V. -Sociedad de Escritores Austríacos)
(Presidenta de la Sociedad Austríaca de Escritores)



"Ein Volk ohne Kunst ist ein krankes Volk"

Lidio Esteban Mosca Bustamante


Werke auf Deustch
Eigenverlag, Österreich, 1991.
Verlag Bibliothek der Provinz, Österreich, 1997.
Gerbgruben Verlag, Neusiedl am See, Österreich, 2002.
Die magische Vihuela.
Vier-Viertel-Verlag. Strasshof, Österreich, 2005.
Alcamor, Briefe aus wien.
Baldiges Erscheinen.

Interviews auf Deustch
(Cambridge University).

Die Presse über sein Wek


"El exilio es como una operación quirúrgica
de la cual uno despierta
y comprueba que le han extirpado el alma."


"Das Exil ist ein chirugischer Eingriff, nach dem man erwacht
und feststellt, dass einem die Seele entfernt wurde."